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Erfahrungsbericht

03. bis 10.07.2022 - 7 Tage auf einer Motoryacht in Kroatien

Ja, tatsächlich sitzen wir Frauen der Selbsthilfegruppe Kulmbach aufgrund unserer ähnlichen Erfahrungen irgendwie "alle in einem Boot". Aus diesem Umstand heraus haben wir ein ganz besonderes Projekt unternommen und wollen dies künftig mit neuen Teilnehmerinnen wieder umsetzen. Nachfolgend unser kleiner, na ja, etwas längerer Blog zu unserer Reise und den damit verbundenen Erlebnissen. Jede Stunde war wervoll!

Alle in einem Boot

Auf was haben wir uns da eingelassen? In unserer Selbsthilfegruppe haben wir darüber gesprochen, dass man, wenn man alle Zeit der Welt hat, sich vieles vornimmt und dann - schiebt! Nach einer Brustkrebserkrankung stellt sich diese Frage deutlicher: Ist es richtig auf den besten Zeitpunkt zu warten? Wann ist dieser? Oder zeigt uns gerade unsere Erkrankung, dass der richtige Zeitpunkt immer jetzt ist? Dadurch dass Silke, verantwortlich für die Selbsthilfegruppe Kulmbach, den Bootführerschein besitzt, kamen wir auf die Idee, einmal gemeinsam eine Bootsreise in Kroatien zu unternehmen. Ein Gebiet, in dem sich Silke gut auskennt.

Anfang 2022 stand fest: Ein Teil unserer Selbsthilfegruppe wird diesen Versuch unternehmen. Wie wird es sein, gemeinsam eine Woche auf so engem Raum zu verbringen? Menschen, die sich zwar kennen, aber noch nie längere Zeit, gar über Nacht, gemeinsam zu tun hatten? Wie kommen wir klar, auf einem Boot mit seiner Eigenbewegung? Wie gestalten wir unseren Tag - können sieben volle Tage nicht unglaublich lange werden, wenn man nicht so einfach gehen kann?

Ja, es gab viele Fragen in uns und schnell war uns klar, wenn wir die alle vor dem Start der Reise klären wollen, werden wir die Reise nie unternehmen. Also ran an die Planung, Termine festlegen, mit Pink Ribbon Deutschland sprechen, ob unser Vorhaben förderungsfähig sein könnte und uns untereinander noch etwas genauer beschnuppern - passen wir zusammen?

Im April waren dann soweit alle offenen Punkte geklärt und wir hatten von Pink Ribbon Deutschland die Zusage erhalten, unsere Bootsreise als Pilotprojekt zu unterstützen. Einzige Auflage war die Führung eines Tagebuches, so dass die Erlebnisse vor, während und nach der Reise eine sinnvolle Beurteilung zulassen würden. Weiterhin genaue Aufzeichnungen hinsichtlich der Gesamtkosten, so dass auch dieser Punkt für evtl. künftige Reisen gut kalkuliert werden könnte.

Eine aufregende Reise beginnt

Silke hat über 20 Jahre Erfahrung mit dem Fahren von großen Booten. Unseres hat gut 15 Meter Länge und vier Meter Breite. Das erscheint, wenn man darauf ist, gar nicht so riesig, doch beim An- und Ablegen - hoppla, da wird der Yachthafen auf einmal so eng wie ein Jahrmarkt. Fest steht: Wir würden uns Silke jederzeit wieder anvertrauen. Aber nun der Reihe nach.

Die Tage vor unserer Abreise sind mit unglaublich vielen Gedanken gefüllt. Wir sind alle sehr aufgeregt. Was kommt auf uns zu? Können wir uns darauf einlassen, auf engem Raum miteinander mehrere Tage lang klarzukommen? Manche von uns waren noch nie auf einem Boot, manche auch noch nicht am Meer. Doch es ist egal, nicht mehr zu ändern, wir haben uns entschlossen und ziehen das jetzt gemeinsam durch. Silke hat uns vom Meer erzählt, von der endlosen Weite, vom ruhigen Schaukeln des Bootes und dem Rauschen der Wellen. Doch auch Silke macht sich viele Gedanken und sie ist sich der Verantwortung bewusst, über einen Zeitraum von einer Woche unser Wohlergehen maßgeblich in der Hand zu haben.

Die erste Herausforderung, noch vor der Abreise, ist das Packen. So ein Boot hat nur begrenzte Möglichkeiten. Es geht darum sich zu reduzieren. Eine gute Übung. Denn was bedeutet Einschränkung denn wirklich? Wir machen uns von Ballast frei, den wir sonst mit uns herumschleppen. Und siehe da, es geht wunderbar. Die Einschränkung im Gepäck wird zur Fülle des Vertrauens - wir kommen klar, wir sind eine Gemeinschaft.

Am Tag der Abreise haben wir ein wenig Bedenken ob der langen Fahrt. Gut acht Stunden werden wir unterwegs sein. Brötchen sind geschmiert, Getränke vorbereitet und dann - vergeht die Zeit wie im Flug. Nach sieben Stunden sehen wir zum ersten Mal das Meer. In seiner ganzen Weite. Wir sind beeindruckt von dieser Größe, ja fast ein wenig ehrfürchtig. Wir haben nun deutlich das Gefühl, die gewohnten, sicheren Strukturen hinter uns zu lassen, sie für ein paar Tage für etwas Unbekanntes aufzugeben, das vor uns liegt. Alma nennt das "raus aus der Komfortzone".

Plötzlich bestimmt der Krebs das Leben nicht mehr. Wie sollen wir das beschreiben? Plötzlich ist es jede einzelne von uns "selbst", mit vollem Bewusstsein drängt sich die eigene Veränderung in den Vordergrund. Wir begreifen, dass Leben Selbstbestimmung bedeutet und vor allem, dass man es ohne Anleitung kann. Selbstbestimmt in den Tag zu gehen, Halt gebende Strukturen zu verlassen, um zu erfahren, dass allein das Leben diese Strukturen für uns bereithält, wenn wir uns selbst vertrauen. Und die Gemeinschaft der Gruppe bietet den schützenden Rahmen.

Wir nehmen das Boot in unser Leben auf

Am ersten Tag beziehen wir unsere Kabinen, richten uns gemütlich ein und erhalten von Silke eine Grundeinweisung in das Boot und in die wichtigsten Funktionen. Das gibt uns das nötige Vertrauen, nicht dem Boot ausgeliefert zu sein, sondern dieses als Hülle, als schützenden Raum für die nächsten Tage wahrzunehmen. Eine gewisse Herausforderung stellt die doch recht schmale Gangway dar, über die man vom Steg aus auf das Boot kommt, doch auch hier spüren wir unsere Gemeinschaft. Anfangs noch mit Hilfe der Anderen wird der Weg über den schmalen Steg bald zur Routine. Am Abend gehen wir zusammen in der Marina (für Menschen ohne Bootserfahrung - der Hafen, der auch supermoderne Sanitäranlagen bietet) essen und besprechen die folgenden Tage.

Der Wetterbericht, der ständige Begleiter einer Bootstour auf dem Meer, informiert über eine Bora, die auf die Region zukommen soll. Eine Bora ist ein böiger Fallwind, der an verschiedenen Küsten auf der Welt, mit Bergen im Hinterland, auftreten kann. Hierdurch kann eine Bootstour sehr ungemütlich bis gefährlich werden. Geplant ist, dass wir am Folgetag auf unsere siebentägige Tour aufbrechen. Aufgrund dieser Wetteransage entschließen wir uns jedoch, erstmal nur aus dem Heimathafen herauszufahren und uns die Küstengebiete und ein paar kleine Inseln in der Nähe anzusehen.

Es ist wohltuend, dies in einer Gemeinschaft entscheiden zu können und zu erleben: Pläne sind gut, aber nur solange sie nicht unumstößlich sind. Wir brauchen im Leben gewisse Ankerpunkte und Abläufe, um durch unseren Tag zu kommen, doch diese sollen immer die Möglichkeit einer, evtl. auch spontanen, Änderung einschließen. Für uns alle eine relevante Erfahrung, wo wir doch schon allein aufgrund unserer Krankheitsvergangenheit immer wieder in Strukturen gepresst werden. Es ist befreiend, denn nun haben sich neue, ganze andere Optionen ergeben.

Unsere Tage voller Erlebnisse und Gespräche

Die Tage beginnen damit, dass Silke morgens frische Brötchen und Brot für uns von ihrem Morgenspaziergang mitbringt. An Bord bereiten wir leckere, selbstgemachte Gemüseaufstriche und Früchtesalate vor, um mit einem üppigen Mahl in den neuen Tag zu starten. Gespült und aufgeräumt wird in ständig wechselnder Zusammensetzung und auch mal zusammen mit allen. Doch das ist, aufgrund der Enge in der Küche, tatsächlich unpraktisch. Jeder trägt, ganz natürlich, seinen Teil für die Gemeinschaft bei. Es geht uns gut.

Die Tage auf dem Wasser führen uns zu einer kaum erhofften Ruhe. Die vielen Blau- und Türkistöne, die Klarheit des Wassers, durch die man die unzähligen Fische beobachten kann. Die Weite des Meeres, die Wärme und die Bewegung des Bootes. Jede für sich und doch mit dem sicheren und vertrauensvollen Halt der Gruppe. Allein mit dem Boot auf dem Wasser zu sein bedeutet eine Welt ohne Ablenkung. Wenn dies ein Prozess innerhalb einer Gemeinschaft ist, führt es zu einer individuellen Öffnung, die niemand von uns so vorher schon einmal erleben durfte.

Durch die Änderung unseres Reiseablaufs besuchen wir wunderschöne Städte wie Krk oder Opatjia. Diese Städte zu entdecken, das ihnen eigene Leben, und ihre  Schönheit, gibt unserer Reise nochmals einen ganz anderen Wert. Wir können die stillen Sunden auf dem Wasser genießen und im Kontrast dazu das pulsierende Leben in den Städten oder auch an verschiedenen Stränden, die wir zu Fuß oder mit dem Wagen besuchen.

Jeder darf, nein soll!, genau so sein wie er ist. Das ist anfangs nicht leicht, doch schnell wird klar, welche Kraft darin liegt. Unverstellt sein zu können und immer eine helfende Hand an der Seite zu wissen. Stolz zu sein, dass man ein Teil des Teams ist und keine Zweifel an der Gemeinschaft zu haben. Das sind die besonderen Werte dieser Reise. Wenn wir bereit sind, Hilfe anzunehmen und umgekehrt auch in der Lage, diese genau im richten Moment anzubieten, dann entsteht daraus Vertrauen. Vertrauen, das gerade für Menschen mit einscheidenden Erfahrungen im Leben von allergrößter Bedeutung ist. Ja, es ist tatsächlich so - gemeinsam geht alles leichter. Wir gelangen sehr zwanglos zu tiefgreifenden Gesprächen, lachen gemeinsam und weinen gemeinsam. Unsere Kommunikation ist offen und freilassend. Wir haben seit langem endlich mal keinen Gedanken an „Morgen“. Und das Meer vermittelt uns beim Baden ein sehr ursprüngliches Vertrauen - schwerelos darauf zu treiben, nur der eigene Körper, umgeben von Wasser und die Gedanken, die sich im Nichts verlieren. Unsere Gespräche haben uns allen geholfen. Manchmal braucht man die Gedanken anderer, um selbst neu zu denken!

Wir haben erfahren, dass es in anderen Ländern ganz andere Vorgehensweisen bei der Krebsbehandlung gibt als in Deutschland und dass unsere Erfahrungen, so unterschiedlich sie waren und sind, uns doch auf eine spezielle Weise verbinden. Und zu unserem Motto „Alle in einem Boot“ gesellt sich ein weiteres, das uns Ellen aus Spanien überliefert: „Ein Vogel auf dem Baum vertraut nicht dem Ast, auf dem er sitzt, sondern seiner Kraft in den Flügeln.“

Persönliches und Aufbruch in die Heimat

Natürlich gibt es auch viele sehr bewegende, intime und lustige Stunden auf einer solchen Reise. Die bleiben im Kreise unserer Teilnehmerinnen, aber wir wollen sie hier kurz andeuten, als Erinnerung für uns:

  • wie mietet man einer Roller?
  • wie viel Knoblauch am Morgen ist gesund?
  • feiert man auch an Bord eines Bootes einen Geburtstag?
  • wo ist denn der Müllmann schon wieder?

Und natürlich die Momente, in denen sich die eine um das Wohlergehen der anderen kümmert, wenn zum Beispiel die Beine schmerzen, da die Hitze fast unerträglich ist.

Viel zu schnell ist unsere Reise zu Ende - das versteht sich von selbst und doch ist es auch irgendwie genau richtig. Wir haben so viele, sehr unterschiedliche Eindrücke und Erfahrungen gemacht und Gespräche geführt in sehr kurzer Zeit.

Nachdem wir das Boot nochmals vollständig überprüft haben, ob alle Leinen auch wirklich so festgemacht sind, dass diese das Boot sicher halten werden, machen wir „klar Schiff“. Also zusammenpacken und alles reinigen. Wir laufen gefühlt 100 Mal mit unserem kleinen Bootswagen zum Wagen, um alles von Bord zu bringen. Da wir eigentlich nicht mehr, sondern eher weniger mit vom Boot nehmen müssen als zum Zeitpunkt des Ankommens, hat uns dies doch sehr verwundert. Später im Wagen sprechen wir darüber und kommen zu dem Schluss, dass wir bei der Ankunft alles schnell auf einmal an Bord haben wollten und beim Wegfahren wohl jedes Teil einzeln in den kleinen Bootswagen gepackt haben, damit wir noch möglichst lange bleiben können.

Was war das Besondere dieser Reise?

Dass wir alle so waren wie wir sind. Dass wir gelebtes Vertrauen und gelebten Zusammenhalt erfahren durften. Dass ein Klappern, wenn es von Segelmasten kommt, eine unglaubliche Ruhe vermitteln kann. Dass Weite in der Landschaft oder auf dem Meer andere Gedanken hervorbringt. Dass man das Meer riechen kann und dass trotzdem eine tolle Strandbar mit Snacks, Getränken und cooler Musik wertvoll ist - und dass beides sich nicht stört. Dass ein gemeinsames Glas Wein am Abend auf dem Achterdeck des Bootes ein besonderes Flair hat. Dass wir einen Regenabend hatten und dadurch den wohl schönsten Regenbogen aller Zeiten erleben durften. Dass es eine wohltuende Müdigkeit geben kann und uns diese zuteil wurde. Ein Segen! Dass wir viel gelacht und geredet haben. Dass wir auch in der Zukunft immer wieder ans Meer wollen - es ist eine tiefe Sehnsucht in uns geweckt. Außerdem: dass Meerwasser der Haut und der Seele gut tut. Dass Gedanken freier werden und sich neue Horizonte und Ziele zeigen können, im eigenen Blick auf die Welt und dem damit verbundenen Vertrauen in das eigene Leben.

Was wir uns wünschen

Wir wünschen jeder Betroffenen eine solch innige Erfahrung und die damit verbundene Bereicherung. Wir empfehlen eine solche Reise jeder Frau und jedem Mann. Der Abstand zum Alltag und die Schönheit dieser kroatischen Region weckt wirklich Kräfte, die weit in den Alltag hineinreichen. Die Erinnerungen an diese Zeit helfen dabei, in stressigen Momenten innezuhalten, uns zu besinnen und in der Zukunft weniger getrieben zu sein. Wir spüren, was wir schon oft gehört oder gelesen haben: Der Weg beginnt, indem wir gehen. Eine solche Reise ist ein Weg, ein vielleicht erster, wichtiger Schritt.

Wir bedanken uns bei allen, die diese Reise ermöglicht haben, und hoffen, dass sie sich für andere Teilnehmerinnen wiederholen lässt.

Für künftige Reisen ein paar nützliche Tipps:

  • Immer ein gesundes und vor allem gemeinsames Frühstück - es trägt einen durch den Tag.
  • Länderkunde - eine gemeinsame Erarbeitung oder Vorträge vor der Reise, um schon mit mehr Wissen in das Land zu reisen und so verbindende Grundlagen für alle Teilnehmerinnen zu schaffen.
  • Entspannungszeiten mit Musik und Blick auf das Meer planen - evtl. Klangschalen mitnehmen.
  • Durch die guten Beziehungen von Silke in die Region evtl. einen Kochkurs bei Einheimischen organisieren. Vielleicht sogar in Abstimmung mit der Pink Ribbon Organisation in Kroatien.
  • Den Reiseablauf eher so lassen, wie wir ihn zufällig erleben dürfen: Tagestouren mit dem Boot und im Wechsel Stadtbesichtigungen und Strandbesuche mit dem Wagen.

Unser Dank geht an:

Den Bootseigner, der uns seine wunderschöne Motoryacht kostenfrei zur Verfügung gestellt hat und beabsichtigt, dies auch künftig für ein oder zwei Reisen pro Jahr mit neuen Teilnehmerinnen zu tun.
Und an Pink Ribbon Deutschland für die Unterstützung bei der Planung, Vorbereitung und Umsetzung der Reise und die Zusammenfassung unserer Tagebücher.